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Eine Digitalstrategie für die Smart City Bern

Digitale Technologien verändern die Art und Weise, wie wir leben und arbeiten. Auch in Bern. Was aber heisst das für den Smart-City-Prozess – und welche Digitalstrategie führt uns zu einer Stadt, in der sich die Bürgerinnen und Bürger wohlfühlen und an der sie aktiv teilhaben können?

Das Wachstum der Digitalisierung verläuft exponentiell: Mittlerweile verfügen fast alle Menschen in industrialisierten Staaten über einen Internet-Zugang, und die Nutzung des Smartphones hat sich in nur drei Jahren verfünffacht. Damit erreicht das mobile Internet heute einen Grossteil der Bevölkerung.
Die neusten Technologien und digitale Plattformen wie Facebook, Twitter oder Tik Tok brauchten zuletzt nur noch ein bis zwei Jahre, um Millionen von Nutzerinnen und Nutzern zu erreichen. Immer ausgefeiltere Technologien ermöglichen einen rasch wachsenden Datentransport – und die Möglichkeit, Daten intelligent auszuwerten. Bei der Digitalisierung geht es um die Zukunft ganzer Industrien. Anbieter und Konsumenten werden sich immer stärker vernetzen, wovon sowohl Konsumentinnen und Konsumenten profitieren – aber auch traditionsreiche Branchen wie der Maschinenbau, die Energiewirtschaft oder die Automobilindustrie. Viele Prozesse werden sich künftig im digitalen Raum abspielen.

Merkmale der digitalen Transformation

Die Art wie wir arbeiten, kommunizieren und ein- oder verkaufen hat sich durch die Digitalisierung verändert. Führungskräfte in Unternehmen müssen gut vorbereitet sein, um die Auswirkungen digitaler Trends zu antizipieren. Sie sollten ihr Unternehmen frühzeitig auf die neuen strategischen Herausforderungen ausrichten. Anders gesagt: Sie müssen die digitale Transformation vollziehen, um am Puls der Zeit zu bleiben.
Doch was versteht man überhaupt unter «digitaler Transformation»? Der Begriff beschreibt, wie Unternehmen ihr Geschäftsmodell, Leistungsportfolio und Operating Modell durch den Einsatz von digitalen Tools und Technologien grundlegend verändern. Die Chancen, welche die digitale Transformation bietet, sollte sich ein Unternehmen keinesfalls entgehen lassen. Doch leider gibt es keine vorgefertigten Blueprints, welche Unternehmen im Sinne von Best-Practice-Ansätzen einfach implementieren könnten, um die genannten Vorteile schnell zu erreichen. Ganz im Gegenteil: Jede Branche und Zielgruppe reagiert unterschiedlich auf die Digitalisierung des Leistungsangebots und der Kundeninteraktion. Daher sind Kreativität, Experimentierfreudigkeit und Risikobereitschaft gefragt, um gewohnte Pfade zu verlassen und neue Wege zu gehen. Das macht die digitale Transformation für Unternehmen zu einer grossen Herausforderung.

Daher ist es wichtig die globale Veränderung wahrzunehmen und prägende Merkmale der digitalen Welt zu erkennen. Die digitale Transformation ist durch sechs Charakteristiken geprägt:

  1. Allgegenwärtige Informationsverfügbarkeit:
    Nutzer haben heute einfachen Zugang zu relevanten Informationen überall auf dem Globus.
  2. Soziale Vernetzung:
    Das reale und virtuelle gesellschaftliche Leben wird «eins». Die Bereitschaft von Nutzerinnen und Nutzern, ihr gesellschaftliches Leben online zu teilen, ermöglicht Social Networking. Dazu gehören Dienste wie Facebook und Twitter, oder auch «Tavolata.ch» der Migros: Hier können sich Personen digital vernetzen und analog miteinander kochen.
  3. Digitale Vernetzung:
    Nutzerinnen und Nutzer haben jederzeit und an jedem Ort Zugang zu Netzwerken, Produkten und Diensten. Dies ermöglicht Anwendungen mit automatischer Datenübertragung, so etwa mobile Fernüberwachnung, Gesundheitschecks und Navigationsdienste im Automobilbereich.
  4. Dauerhafte Erreichbarkeit:
    Die dauerhafte Erreichbarkeit gestattet es, Nutzerinnen und Nutzern jederzeit relevante Angebote zu offerieren. Bei Pull-Anwendungen werden Produkte und Dienstleistungen aktiv nachgefragt, so zum Beispiel Wetter- oder Stauinfodienste.
  5. Lokalisierung:
    Menschen mit Smartphones können heute aufgrund der Mobilfunk-Zellen und Geo-Lokalisierung bis auf wenige Meter genau geortet werden. Diese Möglichkeit eröffnet spezifische mobile Anwendungen wie etwa Location Based Services: Über Lokalisierungsdienste miteinander verknüpfte Personen werden z.B. über den Besuch eines Restaurants informiert und können sich aufgrund dieser Meldung für einen Besuch des gleichen Lokals entscheiden (z.B. die App foursquare).
  6. Leistungsfähige Technologien:
    Ohne die rasch wachsende Leistungsfähigkeit mobiler Endgeräte wäre die digitale Transformation nicht denkbar. Die Geräte, welche Nutzerinnen und Nutzer heute zur Verfügung haben, sind hinsichtlich Rechenkapazität und Funktionalität nicht mit den Geräten vergleichbar, die vor fünf Jahren in Betrieb waren (GPS, Fingerabdrucksensoren etc.). Zusätzlich bieten intelligente Analyse-Tools ungeahnte Möglichkeiten, die produzierten Datenströme zu analysieren und mögliche Kaufmotive oder das Kaufverhalten abzuleiten.

Was bedeutet das für die Smart City Bern?

Die digitale Transformation betrifft alle Menschen, ob sie nun analog oder digital unterwegs sind. Wir stellen uns als Smart City Verein Bern jeden Tag die Frage, wie wir Quartiere, aber auch die Stadt und Region Bern smarter machen können. Wir wollen neue Technologien und Methoden so einsetzen, dass sie die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger steigern. So kann zum Beispiel die Umweltbelastung durch vernetzte, allen zugängliche Sensoren jederzeit gemessen werden. Interessierte haben Zugang zu diesen Daten und können Verbesserungsvorschläge einbringen, wie Klima und Luftqualität an neuralgischen Punkten verbessert werden können. Die zuständigen städtischen und kantonalen Behörden sind danach eingeladen, entsprechende Massnahmen einzuleiten. So entsteht ein fruchtbarer Dialog zwischen Bevölkerung und Verwaltung, moderiert durch den Smart City Verein Bern.
Anderseits soll durch Effizienzsteigerungen auch der Ressourcenverbrauch der Bewohner*innen in der Region sinken. Beispielsweise können Strassenlaternen durch LED-Technologie und intelligente Steuerung so aufgerüstet werden, dass sie erst dann heller werden, wenn sich Menschen oder Fahrzeuge näheren – auch so lässt sich Strom sparen.

Smart-City-Plattform zum Ausbau demokratischer Mitwirkung

Eine smarte Stadt und Region Bern arbeitet nicht nur für die Menschen, sondern vor allem mit ihnen zusammen. Regierung und Parlament werden durch Bürgerinnen und Bürger gewählt. Durch Initiativen und Referenden können Parteien und Komitees jederzeit ins politische Geschehen eingreifen. Diese Errungenschaft der direkten Demokratie unterscheidet uns vom politischen System der meisten europäischen Staaten, und wir können sie nicht genug wertschätzen. Das Konzept der Smart City beinhaltet den Auftrag, die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger weiter auszubauen. Dank neuer Technologien und Methoden können Behörden in Zukunft viel enger mit Quartierorganisationen und Bevölkerung zusammenarbeiten. In einem co-kreativen Prozess entstehen so spannende Ideen, wie sich die Region, die Stadt oder ihre Quartiere weiterentwickeln sollen.

Verschiedene europäische Smart Cities haben bereits Erfahrungen mit partizipativen Modellen gesammelt. So hat Madrid bereits 2015 mit seiner Plattform «Decide Madrid» einen virtuellen Ort geschaffen, wo neue Vorschläge für lokale Gesetze eingebracht werden können. Diese Vorschläge werden auf der Plattform debattiert – und wenn sie genügend Unterstützung erhalten, wird darüber abgestimmt. Ausserdem können die Benutzer*innen der Plattform jährlich über die Aufteilung von 60 Millionen Euro aus dem städtischen Budget entscheiden. Plattformen wie «Decide Madrid» ermöglichen einen niederschwelligen Zugang zum politischen System und vereinfachen auch den Kontakt zu Vereinen und Quartierentwicklungen. Sie können eine neue Dynamik auslösen oder neue Menschen zur Beteiligung ermuntern. Dies machen sich inzwischen auch Sportklubs zunutze. So lässt unser Schweizer Fussballmeister YB seine Fans seit kurzem über eine digitale Plattform mitentscheiden. Seit dem 15. Dezember 2020 können Mitglieder YB-Fan-Tokens kaufen, mit denen sie das Recht erhalten, gewisse Entscheidungen des Clubs in Umfragen zu beeinflussen.

Digitalisierungsstrategie und Einbezug der Quartiere

Die Stadt Bern hat früh reagiert und eine Digitalisierungsstrategie definiert. Diese soll nun um die Smart-City-Dimension erweitert werden: Gemeinsam mit Jonathan Gimmel, Leiter Personal, Finanzen und digitale Entwicklung, wird unser Verein unter dem Arbeitstitel «PartiziBern» eine smarte und bürgernahe Plattform aufbauen. In ersten Workshops haben wir Ideen entwickelt, wie wir Bürgerinnen und Bürger besser in politische Entscheidungen einbinden können. Es reicht nicht aus, eine Plattform wie «Decide Madrid» zur Verfügung zu stellen. Vielmehr müssen wir uns überlegen, wie eine solche Plattformen die Menschen erreichen und die gewünschte Wirkung erzielen kann.

Ein wichtiger Anknüpfungspunkt sind Berns Quartiere: Eine digitale Plattform muss Quartierorganisationen und -bevölkerung ermöglichen, sich verstärkt im eigenen Quartier einzubringen. Geht es beispielsweise um neue Verkehrsführung, soziale und kulturelle Einrichtungen oder Strassenmärkte, sind die Quartiere wichtige politische Räume. Entscheide auf dieser Ebene haben womöglich sogar eine höhere Legitimation als Beschlüsse auf gesamtstädtischer Ebene, weil sie näher an den Bedürfnissen der Betroffenen liegen.
Die Quartiervereine übernehmen heute bereits wichtige Aufgaben: Sie sind wichtige Identifikations- und Knowhow-Träger und können aus der Nähe beurteilen, ob ein Altersstützpunkt ausgebaut werden soll oder wo im Quartier eine Bäckerei fehlt. Neue digitale Plattformen können die Quartierorganisationen nicht ersetzen, denn der Austausch zwischen Behörden, Vereinigungen und Bevölkerung muss auch analog funktionieren. Aber eine Smart-City-Plattform bietet eine wertvolle Ergänzung und kann Menschen zusammenbringen, die sich im realen Leben vielleicht nie begegnen würden.

Quartiervereine können die digitale Plattform nutzen, um die Mitsprache bei wichtigen Projekten breiter abzustützen: So kann sich die Quartierbevölkerung etwa in einer Umfrage dazu äussern, welches Geschäft ins leerstehende Ladenlokal einziehen oder wo ein Veloweg durchführen soll. Ihre wertvolle Scharnierfunktion zwischen Behörden, Gewerbe und Quartierbewohner*innen können Quartiervereine so in Zukunft noch besser wahrnehmen. Zudem schaffen sie damit die Transformation ins digitale Zeitalter und werden zu smarten Organisationen, die einen wichtigen Beitrag zum gemeinsamen Ziel leisten: Stadt und Region Bern zu einer nachhaltigen, humanen und digital vernetzten Smart City zu entwickeln.

Patrizio Bisante Experte Vorstand Smart City Verein Bern
Autor*in: Patrizio Bisante – Bundesamt für Informatik und Telekommunikation, Leiter Desktop & Innovationsprojekte